Manchmal denke ich: Wenn morgen einer ruft „Demokratie ist jetzt aus – bitte alle geordnet zum Gleichschritt antreten!“, würden viele fragen: „Gibt’s da auch WLAN?“
Wir leben in einer Zeit, in der die Bedrohung offen auf der Straße steht – aber wir schauen lieber aufs Handy. Die größte Gefahr ist nicht die radikale Rechte. Die größte Gefahr ist die Normalisierung der Gleichgültigkeit.
Was wir nicht wahrhaben wollen
Philipp Ruch, Gründer des Zentrums für Politische Schönheit, bringt es im Interview mit der taz auf den Punkt:
„Dass wir sie [die AfD] lächerlich finden, schützt das politische Projekt der AfD: die Zerstörung der Demokratie.“
Wir lachen – und sie marschieren. Wir unterschätzen – und sie unterwandern. Wir relativieren – und sie radikalisieren.
Ruch erinnert daran, dass auch die NSDAP „zum Schreien komisch“ war. Und gerade deshalb kam niemand auf die Idee, dass sie ernst machen könnten mit ihrer Menschenverachtung. Auch heute gilt: Faschisten meinen, was sie sagen. Und sie sagen es laut – in Talkshows, auf TikTok, in Landtagen.
Entsolidarisierung hat Ursachen
Die Demokratie ist nicht nur durch ihre Feinde bedroht. Sie zerfällt auch durch das ständige Wegsehen ihrer Freund*innen.
Und das hat Gründe.
Wir erleben seit Jahren eine systematische Entsolidarisierung – nicht nur auf der Straße, sondern tief im Alltag der Menschen.
Wer die Versprechen der Politik gebrochen sieht – etwa das nie gezahlte Klimageld, die unterlassene Entlastung bei Strompreisen, oder die immer weiter steigenden Wohnkosten – verliert Vertrauen.
Nicht unbedingt in „die Demokratie“ – aber in die, die sie verwalten.
Und währenddessen läuft im Hintergrund die Propagandamaschine ununterbrochen weiter: auf Bildschirmen, auf Plattformen, in Kommentarspalten, in rechten Netzwerken. Sie speist sich aus realer Frustration und kanalisiert sie in Hass – gegen Minderheiten, Geflüchtete, Andersdenkende.
So entsteht das, was wir heute in vielen Köpfen finden: ein dumpfes Gefühl, dass „alle lügen“, dass „es eh nichts bringt“, dass „jeder zuerst an sich denken muss“.
Genau das ist der Nährboden der Entsolidarisierung.
Sie macht aus Gesellschaft Publikum.
Und aus Politik Zynismus.
Warum die Kunst der letzte Ausweg ist
Die Politik wird das nicht richten. Die Medien nicht. Die Feuilletons nicht.
Aber die Kunst – die hat noch eine Chance.
Warum?
Weil sie das Denken nicht diktiert, sondern öffnet.
Weil sie nicht „die Wahrheit“ predigt, sondern Fragen stellt, wo andere längst ihre Parolen hämmern.
Weil sie Räume schafft, in denen Fremdheit nicht mit Hass beantwortet wird, sondern mit Neugier.
Kunst kann radikal sein, ohne brutal zu sein.
Kunst kann berühren, ohne zu manipulieren.
Kunst kann zeigen, was gesagt werden muss – ohne zu belehren.
Und vor allem: Kunst kann verbinden, wo alles andere spaltet.
Schluss mit dem Wegsehen
Wenn wir nicht anfangen, Kunst als politische Kraft zu begreifen, werden wir bald nur noch in staatlich dekorierten Hallen ausstellen dürfen, was „volkstümlich“ genug klingt.
Wenn wir die Kunst nicht freilassen, wird sie eingesperrt.
Wenn wir weiter nur zuschauen, wie sich die Welt in den Abgrund zitiert, werden bald keine Gedichte mehr geschrieben – sondern nur noch Vorschriften.