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Arbeiten oder unter einer Last schwanken?

Arbeit und Gesellschaft

Der 1. Mai gilt als Tag der Arbeit – doch was feiern wir da eigentlich?

Die »Arbeit« selbst? Den Achtstundentag? Die Arbeiterbewegung? Oder eher das, was davon übrig ist?

Armut trotz Arbeit ist längst Realität. Millionen Menschen schuften in prekären Beschäftigungen, während sich andere von Projekt zu Projekt hangeln – ohne jede soziale Absicherung. Gerade Künstler*innen, Kreative und Solo-Selbstständige verbringen unzählige Stunden mit unbezahlter Vorbereitung, Recherche, Projektentwicklung oder Antragsschreiben – Arbeit, die nirgendwo auftaucht, aber real ist. Wir sollten hier endlich unterscheiden: Erwerbslos ist nicht gleich Arbeitslos. Wer keine bezahlte Stelle hat, ist oft trotzdem rund um die Uhr tätig.

Und dann gibt es noch die Arbeit, die gar nicht als solche gilt: Sorgearbeit, Hausarbeit, emotionale Arbeit. Tätigkeiten, die meistens Frauen übernehmen, oft unbezahlt, unsichtbar – und mit einem höheren Armutsrisiko im Schlepptau. Denn unser Wirtschaftssystem erkennt nur an, was sich verrechnen, verwerten, verkaufen lässt. Der Mensch wird dabei oft zur Nebensache – besonders dann, wenn er nicht „leistet“.

Gleichzeitig schallt es aus der Politik: „Mehr arbeiten! Länger arbeiten! Später in Rente!“ Als wäre der Körper eine Maschine und das Leben eine Exceltabelle. Als hätten nicht schon jetzt viele Menschen zwei oder drei Jobs, als wäre Erschöpfung ein individuelles Problem. Als wäre Zeit keine kostbare, endliche Ressource, sondern ein betriebswirtschaftlicher Optimierungsfaktor.

Und wo ist eigentlich das große Versprechen geblieben? Dass uns die Technik entlastet, befreit, Zeit schenkt für Kreativität, Muße, Beziehungen? Stattdessen: Dauerstress, Entgrenzung, Erreichbarkeitszwang. Das digitale Hamsterrad dreht sich schneller denn je. Die schöne neue Arbeitswelt bleibt für viele eine Fata Morgana.

Dabei hieß es doch einst, Automatisierung und Digitalisierung würden das Leben der Menschen erleichtern. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Gewinne steigen, die Produktivität auch – aber die Arbeitszeit wird nicht kürzer, sondern länger. Die Zeitersparnis landet nicht bei den Menschen, sondern in den Bilanzen der Konzerne.

Und der Drill beginnt früh.
Schon die Schule fungiert als Disziplinierungsanstalt, um Kinder systemkompatibel zu machen – bereit für die »Megamaschine«, wie Fabian Scheidler sie nennt ¹. Kreativität, Selbstbestimmung, Solidarität? Fehlanzeige. Stattdessen Testlogik, Selektion, Funktionalität. Der Philosoph Ivan Illich hat diesen Mechanismus präzise auf den Punkt gebracht ²:

„Die Schule ist die Werbeagentur, die einen dahin bringt zu glauben, man brauche die Gesellschaft so, wie sie ist.“

Doch woher kommt eigentlich dieses seltsame Konzept von Arbeit?
Der Autor und Systemkritiker Fabian Scheidler wirft in seinem Buch „Das Ende der Megamaschine“ einen radikal anderen Blick auf die Geschichte:

„Wir neigen dazu, «Arbeit» als etwas zu betrachten, das so alt ist wie die Menschheit. (…) Aber über den größten Teil der Menschheitsgeschichte verstanden Menschen ihre Tätigkeiten nicht als «Arbeit». (…) Arbeit war in der Antike ausschließlich Sklavenarbeit: von einer fremden Macht auferlegte Plackerei.“

Was wir heute als Arbeit bezeichnen – mit festen Zeiten, Disziplinierung, Verwertung, Hierarchien – ist also keine anthropologische Konstante, sondern eine historische Konstruktion. Eine, die mit Gewalt durchgesetzt wurde, um Menschen zu funktionalisieren – sei es als Sklaven, als Lohnarbeiter oder als jederzeit abrufbare Humanressource im digitalen Kapitalismus.

Der Wachstumswahn hat längst seine Grenzen erreicht. Und mit ihm die Vorstellung, dass mehr Arbeit automatisch mehr Wohlstand bringt. Vielleicht ist es Zeit, am 1. Mai nicht nur zu feiern, sondern zu hinterfragen:

Welche Arbeit wollen wir? Und welche Arbeit brauchen wir wirklich?

Quellen

1 — Fabian Scheidler: Das Ende der Megamaschine – Geschichte einer scheiternden Zivilisation, © 2015 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien

2 — „Die Schule ist die Werbeagentur, die einen dahin bringt zu glauben, man brauche die Gesellschaft so, wie sie ist“ – stammt aus seinem Werk Entschulung der Gesellschaft (Deschooling Society), das 1971 veröffentlicht wurde. In diesem Buch kritisiert Illich die institutionalisierte Bildung und argumentiert, dass Schulen nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch gesellschaftliche Normen und Hierarchien reproduzieren. Das Zitat reflektiert seine Ansicht, dass Schulen dazu beitragen, bestehende gesellschaftliche Strukturen zu legitimieren und zu erhalten, indem sie den Eindruck erwecken, diese seien notwendig und unveränderlich.​

Illichs Kritik an der Schule als Institution findet sich auch in seinem späteren Werk Schulen helfen nicht – Über das mythenbildende Ritual der Industriegesellschaft (1972), in dem er die Schule als „sakralen Bezirk“ beschreibt, der Menschen auf das weltliche Leben vorbereitet, ähnlich wie es früher Klöster oder Synagogen taten. Er argumentiert, dass die Schule in der modernen Gesellschaft eine quasi-religiöse Rolle übernimmt, indem sie Bildung mit Schulpflicht gleichsetzt und somit gesellschaftliche Hierarchien legitimiert.​

Michael Maria Ziffels
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