Emsemble mit Stimme(en)

DOGGERLAND VI: «sink (think)» (2024)

sie gleiten aus unserer welt

sie gleiten aus unserer welt

TEXT Ulrike Draesner

für für Klavier, Tuba, Stimme und Live-Elektronik

28 Minuten

Gefördert Niedersächsische Sparkassenstiftung und die Sparkassen Kulturstiftung Lüchow-Dannenberg

Entstanden: 2024

Uraufführung 24. August 2024

Das Gedicht »sink (think)« von Ulrike Draesner aus ihrem Band DOGGERLAND befasst sich mit Themen des Wandels, des Verlusts und der Erinnerung an vergangene Welten. Hier eine detaillierte Analyse:

Form und Struktur
Das Gedicht ist in freien Versen geschrieben und verzichtet auf eine strikte Reimform oder metrische Struktur. Diese Freiheit in der Form verstärkt das Gefühl der Auflösung und des Verlusts, das im Gedicht thematisiert wird. Der Titel „sink (think)“ verweist auf den Zusammenhang von Denken und Untergang oder Versinken, was sowohl metaphorisch als auch thematisch den roten Faden des Gedichts bildet. Durch den Einsatz von Klammern und Kursivierungen („slinking“) betont Draesner die Doppelbedeutungen und fließenden Übergänge zwischen den Zuständen.

Thema und Inhalt
Das Gedicht beginnt mit den Worten „fresse wechsel laufe wind“, was eine wilde, fast animalische Energie suggeriert. Hier wird eine Welt beschrieben, die im Übergang ist, in der sich die Naturkräfte und Lebewesen bewegen und verändern. Es ist eine Bewegung „aus unserer welt“, also aus der gegenwärtigen, uns vertrauten Welt, in eine andere, „die wir erinnern in der wir vergingen“. Diese Welt ist eine Erinnerung, eine vergangene Epoche, die nicht mehr greifbar ist. Der Ausdruck „in der wir vergingen“ deutet an, dass diese Welt bereits untergegangen ist und mit ihr auch die menschliche Präsenz in dieser Vergangenheit.

Im mittleren Teil des Gedichts werden spezifische Symbole des menschlichen und tierischen Lebens genannt: „zum preis der frettchen der zahmen wölfe des korns des feuers des beils“. Diese Reihe von Symbolen zeigt die Zähmung und Domestizierung von Natur und Tieren („Frettchen“, „zahme Wölfe“) sowie die frühesten menschlichen Errungenschaften wie Landwirtschaft („Korn“) und Technologie („Feuer“, „Beil“). Der „Preis“ hierfür ist jedoch ein gewisser Verlust an Ursprünglichkeit und Wildheit, die in der Gegenwart nicht mehr zurückgeholt werden kann.

Erinnerung und Verlust
Das Gedicht spielt mit der Idee, dass diese vergangene Welt zwar erinnert wird, aber unerreichbar bleibt. Der „habichtschlitz“, also der scharfe, schmale Blick des Habichts, symbolisiert einen Blick in diese ferne Vergangenheit, den der Sprecher „spürt“, aber nicht vollständig erfassen kann. Diese sensorische Wahrnehmung („dichte ihren duft“) ist intensiv, aber die Unmöglichkeit, zurückzukehren, bleibt bestehen: „aber kann nicht zurück“.

Die Gegenwart ist durch einen veränderten Blick und ein verändertes Selbstverständnis gekennzeichnet: „zu blank mein blick zu aufrecht der gang die zunge überbewegt“. Diese Verse zeigen eine Distanz zur animalischen Ursprünglichkeit; der „aufrechte Gang“ symbolisiert die menschliche Evolution, der „blanke Blick“ könnte auf Rationalität und eine Entfremdung von der Natur hindeuten. „Die zunge überbewegt“ könnte das Übermaß an Sprache und Denken darstellen, das die direkte Verbindung zu einer ursprünglichen Welt erschwert.

Schluss und Symbolik
Der Übergang zu „(slinking)“ deutet auf eine Bewegung hin, die schleichend oder versteckt ist, vielleicht ein Versuch, sich dieser verlorenen Welt anzunähern, doch gleichzeitig schließt das Gedicht mit „denken genannt sink think“, was die Verbindung zwischen Denken und einem Versinken thematisiert. Das Denken selbst wird hier als ein Prozess des Untergangs beschrieben, als ob das Überdenken oder Reflektieren die Rückkehr in diese ursprüngliche Welt verhindert.

Fazit
In „sink (think)“ beschreibt Ulrike Draesner einen Moment der Erinnerung an eine vergangene, urzeitliche Welt, die durch Zivilisation und Fortschritt verloren gegangen ist. Das Gedicht thematisiert den Verlust der Verbindung zur Natur und zu den archaischen Ursprüngen der Menschheit, indem es auf eine Trennung zwischen der gegenwärtigen, rationalen Existenz und der wilden, animalischen Vergangenheit hinweist. Der Titel verweist auf die paradoxe Beziehung zwischen Denken und Versinken – das Denken, das uns von dieser Ursprünglichkeit trennt, aber gleichzeitig den Verlust dieser Welt reflektiert.

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Diese Arbeit wurde durch die Unterstützung möglich gemacht. Vielen Dank.
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