«Ich weiß genau, wo die Reise hingehen soll. In Lüchow-Dannenberg lebe ich zurückgezogen, lerne und arbeite viel. Ich stelle mir Musik als ein echtzeitbasiertes, interaktives System vor. Meine Zukunftsmusik», fasst Michael Maria Ziffels den Zusammenhang von seinem Lebensort und dem, was er tut, zusammen. Er ist Komponist,hat an der Folkwang-Hochschule in Essen studiert. Das, was er nun dazulerne, sei der vertiefte Umgang mit den Möglichkeiten des Computers.
«Hurra, ich bleibe hier»
Eine Ahnung von dem, was er meint, gibt das Klavierstück «Schneealgen in Spitzbergen», das er bei einem Konzert am 5. Oktober (siehe Kasten) spielen wird, in dem er sich per Elektronik «selbst vervielfältigt» habe. Er spielt das Werk, eine Kombination aus notierter Musik und der Programmierung für die Ansteuerung der fünf Klaviere in verschiedenen Grundstimmungen an und über einen Computer, der Klang basiert auf dem Sampling eines Yamaha-Flügels. Die computergenerierten Passagen interagieren mit dem, was an den tasten gespielt wird. Quasi «geklonte Musiker», beschreibt Ziffels. Der Ort, an dem der 55-Jährige an solchen Kompositionen und den Voraussetzungen dazu arbeitet, ist seit gut zwei Jahren ein gemietetes Haus in Harlingen bei Hitzacker. Im Herbst 2019 war Michael Maria Ziffels, der damals noch in Berlin lebte, zum ersten Mal überhaupt in Lüchow-Dannenberg gewesen, zum Wandern. Im März 2020 folgte der nächste Wanderausflug, es ging nach Pommoißel. Dann kam der Lockdown, und trotz aller Unsicherheiten und Ängste wegen der Pandemie sei er «in die Luft gesprungen: Hurra, ich bleibe hier», erinnert sich Ziffels an seine Entscheidung für das Wendland. Zunächst war die Idee, halb dort halb in Berlin zu leben. Dann «war mir sehr schnell klar: Das hier ist es», obwohl er die Region überhaupt nicht gekannt habe. Auf der Suche nach einem Ort auf dem Land habe er zuvor Deutschland systematisch erwandert. «Wenig Autos, viel Natur, dazu ein Minimum an Kultur», das habe er gesucht. «Was wir unter Zivilisation verstehen, ist ein Angriff auf die Sinne», formuliert Michael Maria Ziffels. Viele Freunde hätten ihm vom Landleben abgeraten, aber was die befürchtet hätten, sei «überhaupt nicht eingetreten. Im Gegenteil: Ich finde mich.» Autofrei, das sei in und um Hitzacker, wo alles inklusive eines Bahnhofs mit dem Rad erreichbar sei, einfach. Was die Kultur angehe, habe er mehr als ein Minimum gefunden, ein reiches Angebot von den Sommerlichen Musiktagen bis zur Kantorei St. Johannis, in der er singt.
Am Anfang der Gesang
«Am Anfang war der Gesang, erst im Kinderchor, dann in der örtlichen Kantorei», blickt der in Viersen am Niederrhein aufgewachsene Musiker auf seine Beziehung zur Musik. Das «Deutsche Requiem» von Johannes Brahms sei das erste große Werk gewesen, in dem er gesungen habe, ein eigenes Werk des Genres schreibt er aktuell. «Abstand – ein Requiem in sieben Bildern», so der Titel, möchte ein Statement setzen «für die Menschen, die von der Gesellschaft vergessen werden oder sich aus Äußerte abstrahiert als Zahlenkolonnen in irgendwelchen Statistiken wiederfinden», heißt es auf Ziffels Homepage. Ersten Theorie- und Klavierunterricht hatte er bei Gerhard Löffler. Die Stücke für den Klavierunterricht hätten ihn nicht so fasziniert, «und so habe ich eigene geschrieben», beschreibt Ziffels seine ersten Kompositionen. Später kam eine Bühnenmusik zu Calderons «Das große Welttheater» für die Junge Bühne Viersen. Die Affinität zum Tanztheater – «ich bin ein leidenschaftlicher Tänzer» – und zum Theater setze er in seinem Werk fort, in dem er über die Musik hinausgehen wolle. Theater sei übrigens eine Studienoption gewesen, aber «da ist so viel Musik in mir, die hinaus will.» Die Künste verbinden, darin sieht Michael Maria Ziffels auch einen Weg für die Neue Musik, mehr Menschen zu erreichen. Dafür brauche es «nichts Weichgespültes, sondern mehr Ernsthaftes».
Neue Welt, Neue Musik
Schon früh, so Michael Maria Ziffels, habe ihn die zeitgenössische Musik fasziniert, «in Viersen habe ich jeden Tag eine neue Welt entdeckt. Es war spannend, es war toll – und ich war der Einzige“ György Ligeti, John Cage, lannis Xenakis seien Komponisten, die ihn besonders beeindruckt hätten, sagt er und setzt die Reihe im selben Atemzug fort: Stockhausen, Buxtehude, Bach, Haydn, Ravel, Debussy, Messiaen. Auch iranische und indische Musik begeistert,,eigentlich liebe ich alle Kunstmusik».