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füpen düpen püüüüpen (2025)

Vokalmusik

TEXT Sokrates, Michael Maria Ziffels

für Sopran solo

15 Minuten

Entstanden: 2025

«füpen düpen püüüpen» – Sokrates auf TikTok?

In meiner Komposition «füpen düpen püüüpen» kollidiert der berühmte Ausspruch von Sokrates – «Ich weiß, dass ich nicht weiß» – mit der grellen Ich-Zentriertheit der Selfie-TikTok-Welt. Eine Welt, in der Sichtbarkeit alles, Inhalt aber nebensächlich geworden ist. In der unter dem Etikett «Freiheit» jede Verantwortung verdunstet – FDP-Style, aber mit Glitzerfilter.

Das Werk reibt sokratischen Zweifel an der Dauerpose des digitalen Narzissmus. Es ist eine Klanglandschaft aus Brüchen, Störungen, Fragmenteinwürfen und ironischer Geste. «Ich weiß, dass ich nicht weiß» wird zur absurd verdrehten Parole einer hyperindividualisierten Gegenwart. Die Musik will nicht beruhigen, sondern aus der Schleife reißen.

Was entsteht, ist ein performativer Raum, in dem Bedeutung nicht behauptet, sondern zerlegt wird. Vielleicht bleibt am Ende nur ein Flackern – aber darin liegt die Chance: für ein anderes Hören. Ein anderes Denken.



«füpen düpen püüüpen» – Analyse

Der berühmte Ausspruch von Sokrates, «Ich weiß, dass ich nicht weiß» (im Griechischen: „οἶδα οὐκ εἰδώς“), stellt ein zentrales Prinzip seines Denkens dar und ist ein Ausdruck intellektueller Bescheidenheit. Diese Aussage steht im Kontrast zu dem Anspruch vieler seiner Zeitgenossen, Wissen zu besitzen oder die Wahrheit sicher zu kennen. Sokrates stellte diese Gewissheit infrage, indem er behauptete, dass wahres Wissen das Bewusstsein der eigenen Unwissenheit erfordert.

Sokrates ging davon aus, dass die Erkenntnis der eigenen Wissenslücken der erste Schritt zu wahrer Weisheit ist. Denn wer sich seiner Unwissenheit bewusst ist, bleibt offen für neue Erkenntnisse, stellt Fragen und hinterfragt das vermeintlich Gegebene. Dieser Ansatz führte zu seiner Methode des Dialogs, der sogenannten Sokratischen Methode, bei der er durch gezielte Fragen versuchte, versteckte Widersprüche und Unklarheiten in den Aussagen anderer offenzulegen.

Gleichzeitig betont der Ausspruch eine wichtige ethische Dimension: Wer sich seiner Grenzen bewusst ist, neigt weniger dazu, arrogant oder dogmatisch zu handeln. Stattdessen führt diese Selbstreflexion zu einem offenen und kritischen Geist, der nach Weisheit strebt, ohne zu behaupten, sie vollständig erlangt zu haben.

Sokrates’ Aussage lässt sich auch in einen feministischen Kontext übertragen. Feministische Theoretikerinnen haben traditionell den Anspruch bestimmter Gruppen, „zu wissen“, was wahr oder normal ist, infrage gestellt. Patriarchale Strukturen haben über Jahrhunderte hinweg das Wissen von Männern als universell und objektiv dargestellt, während andere Perspektiven, insbesondere die von Frauen, systematisch ausgeschlossen oder marginalisiert wurden. In dieser Hinsicht gleicht der feministische Ansatz der sokratischen Erkenntnis: Beide fordern, das vermeintlich absolute Wissen zu hinterfragen und die Begrenztheit der eigenen Perspektive zu erkennen.

Feministische Denkerinnen betonen die Wichtigkeit, alternative Wissensformen und Erfahrungen anzuerkennen, insbesondere solche, die von marginalisierten Gruppen geäußert werden. Sokrates’ «Ich weiß, dass ich nicht weiß» lässt sich daher auch als Aufforderung verstehen, patriarchale Strukturen zu hinterfragen und Raum für Stimmen zu schaffen, die lange Zeit unterdrückt wurden. Das Bewusstsein für die eigene Unwissenheit ist hier eine Art epistemischer Wandel: Es öffnet den Raum für vielfältige Perspektiven und Wissensformen, die in hegemonialen Diskursen traditionell nicht berücksichtigt werden.

So wird Sokrates’ Ausspruch zu einem Symbol für die Suche nach tieferem Verständnis und den Mut, die Begrenztheit des eigenen Wissens anzuerkennen – sowohl in der Philosophie als auch im feministischen Diskurs.

In  «füpen düpen püüüpen» tritt dieser sokratische Zweifel in eine toxisch glitzernde Gegenwart: Die «Selfie-TikTok-Welt» hat das «Ich» zur alles überstrahlenden Sonne erhoben. Alles dreht sich um Sichtbarkeit, Selbstinszenierung und Instant-Relevanz. Gleichzeitig zieht sich die FDP-Allüre – Freiheit über alles, Verantwortung optional – wie ein glänzender Plastikmantel über eine Gesellschaft, die sich für autonom hält, während sie algorithmischen Feedbackschleifen gehorcht.

«Ich weiß, dass ich nicht weiß» wird hier zur grotesken Parole inmitten der Hyperindividualisierung. In kurzen, scharfen Textfragmenten und klanglich überzeichneten Gesten prallt sokratischer Zweifel auf narzisstische Pose. Die Komposition unterwandert das permanente Sendebedürfnis mit Brüchen, Leerstellen und digitalen Echos. Was bleibt, ist ein performativer Zwischenraum, in dem Bedeutung flackert, sich auflöst – und vielleicht, ganz kurz, ein anderes Hören möglich wird.

Michael Maria Ziffels
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