Fotos: Betti Manson
Ein Gespräch mit Frank Weylo von ART14 e.V. und Michael Maria Ziffels
Warum noch ein Chor? Gibt es nicht schon genug Chöre?
Schnuut & Pumpe ist eher ein Anti-Chor. Es gibt keinen Dirigenten, keine Noten und keine Lieder. Aber es gibt den reinen Klang. Ein Ensemble von Solisten, die in der Einheit durch Experimentieren einen neuen Klang finden.
Wie bist du auf diesen Namen gekommen?
Die Einheit von Bewegung und Gesang ist mir wichtig. Nach Jahrzehnten des klassischen Chorgesangs spüre ich, dass mir die Verbindung von Gesang und Bewegung fehlt. Ich will kein steifes Ensemble, das in der Kirche oder sonst wo still steht. Ich möchte Bewegung, Tanz und Ekstase. »Schnuut & Pumpe« bedeutet aber auch »Schnauze und Herz«, also die Verschwisterung des Intellekts mit der Gefühlswelt.
Wie muss man sich eine Probe vorstellen?
Zunächst einmal sind es keine Proben im herkömmlichen Sinne. Ich nenne es Spiele.
Wir spielen ohne Noten und ohne Klavier. Für jedes Spiel bereite ich ein Klangbild vor, das ich mit Hilfe der modularen Klangsynthese auch visualisieren kann. Zunächst geht es darum, Klänge zu imitieren. Töne zu halten und zu modulieren. Wir lernen gemeinsam, wie Frequenzmodulation, Amplitudenmodulation und Pulsweitenmodulation klingen.
Das klingt jetzt sehr technisch. Brauche ich eine Vorbildung?
Nein, wir lernen gemeinsam. Die Lust am Singen, die Freude an der Bewegung. Die Lust an der Vielfalt. Die Lust am Spielen. Das verbindet uns.
Gibt es keine Texte?
Wir werden Texte finden. Wahrscheinlich werden die Texte uns finden (lacht). Eine Technik ist für mich die Vokal-Modulation. Wir nehmen eine Textzeile, z.B. »Nutze klug die Zeit« und extrahieren die Vokale und so wird daraus eine Modulation von »u -> e -> u -> ie ->ei«.
Wie bist du zum Singen gekommen?
Ich habe im Kinderchor meiner damaligen Kirchengemeinde gesungen. Danach habe ich in unzähligen Kantoreien, aber auch Kammerensembles in verschiedenen Besetzungen gesungen. Grundsätzlich fast immer klassische / geistliche Werke.
Du möchtest die Proben/Spiele aufnehmen, warum?
Mein persönliches Credo ist: »Alles ist in allem«. Das Projekt ist ein Experiment. Ich bin Komponist und Klangforscher. Meine Vision ist es, einen Chorklang zu schaffen, der einer Klangskulptur ähnelt.
Sobald ich genügend Aufnahmen gesammelt und geschnitten habe, werde ich daraus ein Schnuut-Instrument machen. Damit können wir Sängerinnen und Sänger mit einem virtuellen Abbild interagieren.
Du hast von Klangbildern gesprochen. Was ist das?
Klangbilder sind algorithmische Modelle. Einfach gesagt, Modelle, die eine grafische Form haben, die man sich leicht merken kann. Auch hier gehen wir von elementaren Grundformen aus: Puls, Dreieck und Sägezahn. Aber auch die einfachste und archaischste, der Bordun. Das lange Aushalten von Tönen und ein Melodiegespinst, das sich darüber legt. Ein Pendel zwischen Harmonie und Dissonanz. Wir üben das Aushalten von Intervallen. Ich möchte, dass alle einen Tritonus singen können.
Wo werden die Proben – die Spiele – stattfinden?
Das ist im Moment noch offen. Am liebsten draußen. Aber am Anfang brauche ich Strom aus der Steckdose. Orte mit einer reichen und inspirierenden Akustik sind Kirchen, Tunnel, Hallen und Höhlen. Ein Ort wird uns finden.
Wird es Konzerte geben?
Auch das ist noch offen. Das hängt auch von der Dynamik des Chores ab. Ich persönlich bin für fast alles offen: Vielleicht finden sich die richtigen Leute, die auch Lust haben, sich von der klassischen Idee – und dazu gehört auch die Konzertform – zu emanzipieren. Wie wäre es mit einem klingenden, wandernden und tanzenden Flashmob?
Das klingt fast wie Aktionskunst. Ist dein Anliegen politisch?
Als Künstler leide ich unter dem Zustand unserer Welt. Das Sagen haben Bürokraten und Menschen, deren Menschenbild davon geprägt ist, dass der Mensch an sich böse und schlecht ist. Darauf ist unsere Gesellschaft aufgebaut. Das lehne ich ab. Ich bin für ein anderes Menschenbild: Der Mensch ist an sich gut. Die sogenannte Zivilisation verdeckt das Gute. Aber es ist überall. Aber das Gute schafft es nicht oder nur selten in die Nachrichten.
Du beschäftigst dich auch mit Computerprogrammierung, warum?
Ich habe schon als junger Student das Potenzial von Computern erkannt und mir einen gekauft, noch bevor es den C64 gab. Das war echtes Neuland (lacht). Es gab natürlich keine Lehrer oder Erwachsenen in meinem Umfeld, die sich damit auskannten. Also habe ich mir die Computersprache Basic selbst beigebracht. Im Studium haben wir unter anderem unsere Partituren in Turbo-Pascal geschrieben. Heute benutze ich Ruby und Java-Script-Code sowohl für die Komposition als auch für das Videomaterial.
Kann jeder singen?
Ich werbe schon lange für das Singen. Ich habe viele Gespräche darüber geführt. Sehr oft höre ich: Nein, ich selbst kann gar nicht singen. Das ist sehr oft das, was in der Schule gesagt wurde. Wer als Schüler – vor allem die Jungs haben es da schwer – nicht auf Anhieb einen Ton nachsingen kann, der wird schnell abgestempelt: Der ist nicht musikalisch. Dazu kommt der Musikunterricht in Deutschland, der selten die Lust an der Musik fördert. Schließlich bestimmen nicht die Schüler, was Musik ist, sondern ausschließlich die Erwachsenen.
Wie geht es weiter?
Zunächst lade ich alle, die zuhören wollen, zu einem Abend in das Gemeindehaus der Johanniskirche in Hitzacker ein. Im ersten Teil des Abends werde ich meine Vision mit vielen spannenden Klangbeispielen erläutern. So zeige ich ganz konkret anhand einer Tonaufnahme eines quasi außerirdischen Vogelgezwitschers, wie ich das gemacht habe. Im zweiten Teil lade ich zum Mitsingen ein.
